Digitalisierung und Arbeit 4.0 sind Schlagworte, die aus der modernen Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken sind. Wie seit jeher bringen Neuerungen nicht immer nur Gutes mit sich, sondern haben auch Schattenseiten. Die Hans-Böckler-Stiftung hat Ende letzten Jahres die erste Studie zum Thema digitaler Stress und deren Folgen veröffentlicht. Deren Ergebnisse möchte ich in diesem Blogartikel für Sie zusammenfassen. 

Deutlich wurde in der Untersuchung, dass die Digitalisierung zu einer Veränderung von psychischen Belastungen, zu gesundheitlichen Beschwerden sowie zu Leistungseinbußen führt. Dabei hat sich als größter Stressor der Digitalisierung die Verunsicherung im Umgang mit digitalen Technologien herausgestellt. Präventive Maßnahmen zum Thema digitaler Stress sollten sich dementsprechend auf die Kompetenzerweiterung in Bezug auf die Nutzung und den Umgang, insbesondere auch in Bezug auf einen maßvollen Umgang ausrichten. Hier spielt selbstverständlich auch der private Umgang eine Rolle.

Wie zeigt sich die Digitalisierung?

Seit den 1950er Jahren hat sich unsere Wirtschaft zunehmend von einem produzierenden Schwerpunkt hin zu einem Dienstleistungs-Schwerpunkt entwickelt. Es ist in diesem Zusammenhang die Rede von einer Terzialisierung. Wir sind zu einer Wissens- und Informationsgesellschaft geworden. Insbesondere die Bereiche der Wissensarbeit und Dienstleitung sind von der rasanten Veränderungen durch die neuen Technologien betroffen. Auch in Produktionsprozessen nehmen jedoch die Komplexität und Vernetzung zu. Und unsere moderne Lebens- und Arbeitswelt ist insgesamt stark von der Digitalisierung geprägt. So ist das Smartphone heute nicht mehr wegzudenken. Nach Daten der Bitcom e.V. ist der Anteil von Smartphone-Nutzern von 36% im Jahr 2012 auf 76% im Jahr 2016 gestiegen. Auch die Nutzung von Tablets nimmt stetig zu.

Die Vernetzung und Möglichkeiten des digitalen Datenaustausches von überall haben zu einer örtlichen Unabhängigkeit der Arbeit geführt. Gearbeitet wird heutzutage nicht mehr ausschließlich am klassischen Arbeitsplatz, sondern von zu Hause, im Zug, im Auto, Hotel oder am Flughafen. Die Digitalisierung hat also u.a. enormen Einfluss auf die Arbeitsorganisation.

Was genau ist digitaler Stress?

Ganz allgemein gesprochen ist Stress ein Ungleichgewicht zwischen Anforderungen und Bewältigungsmöglichkeiten. Digitaler Stress bedeutet also eine Fehlbeanspruchung durch die Nutzung digitaler Technologien. Bereits in zurückliegenden Studien wurden Stressoren im Bereich der Digitalisierung ausgemacht. Als Beispiel sei hier die zunehmende E-Mail-Flut, die fließenden Übergänge zwischen Arbeit und Freizeit oder auch die ständige Erreichbarkeit genannt. Geprägt hat den Begriff digitaler Stress der Psychologe Craig Brod.

Digitaler Stress umfasst 6 Faktoren:

  1. Omnipräsenz
  2. Überflutung
  3. Komplexität
  4. Verunsicherung
  5. Jobunsicherheit
  6. Unzuverlässigkeit

Welche Ergebnisse hat die Untersuchung ergeben?

Das in der Grafik dargestellte Modell lag der Untersuchung als theoretische Basis zugrunde.

Ziel der  Studie war es, eine Faktenbasis zu schaffen, die das Ausmaß von Stress durch digitale Technologien in der Arbeitswelt darstellt sowie die damit verbundenen Folgen für Arbeitnehmer sowie auf Arbeitgeber aufzuzeigen. Dazu wurden 2.640 Arbeitnehmende befragt.

Es können 10 Kernergebnisse festgehalten werden:

  1. Digitaler Stress geht mit einer deutlichen Zunahme gesundheitlicher Beschwerden einher. Es war zu sehen, dass bereits bestehende Beschwerden unter digitalem Stress noch zunehmen. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten mit hohem digitalen Stress leidet unter Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und allgemeiner Müdigkeit.
  2. Digitaler Stress verringert die Leitungsfähigkeit, Arbeitszufriedenheit und Bildung. Hier ergeben sich direkte negative Effekte für den Unternehmer.
  3. Hoher direkter Stress geht mit einem starken Konflikt zwischen Arbeits- und Privatleben einher. Diese zeigen sich in einer starken verschwimmen der Grenzen zwischen Beruf und Freizeit.
  4. Der Digitalisierungsgrad des Arbeitsplatzes ist nicht alleine ausschlaggebend für das Level an digitalem Stress. Dies ist auf den ersten Blick vielleicht etwas überraschend. In Hinblick auf die Definition von digitalem Stress wird es jedoch deutlich, denn digitaler Stress tritt dort auf, wo der Digitalisierungsgrad des Arbeitsplatzes nicht zu den Kompetenzen der oder des Beschäftigen passt.
  5. Digitaler Stress tritt in allen Branchen und Tätigkeitsarten auf. Dies verwundert vermutlich weniger, da Digitalisierung in Unternehmen und Organisationen aller Branchen und Größen längst an der Tagesordnung ist.
  6. Frauen arbeiten an höher digitalisierten Arbeitsplätzen, sehen sich als kompetenter an und haben ein höheres Level an digitalem Stress als Männer. Der Digitalisierungsgrad der Arbeitsplätze von Frauen liegt 16% über dem der Männer. Zudem schätzen die Frauen ihre Kompetenz höher ein, jedoch reicht dies nicht aus, um den höheren Digitalisierungsgrad auszugleichen, was im Ergebnis zu einem höheren Level an digitalem Stress führt.
  7. Digitaler Stress ist bei 25- bis 34-jährigen Arbeitnehmern ausgeprägter als bei anderen Altersgruppen. Die hat sehr überrascht. Den geringsten digitalen Stress empfinden übrigens die über 64-jährigen.
  8. Als größte Stressquelle wird die Verunsicherung im Umgang mit digitalen Technologien wahrgenommen. Aber auch Unzuverlässigkeit, Überflutung, Verunsicherung und Komplexität stellen Stressoren dar.
  9. Neben E-Mail sind paradoxerweise die häufigsten digitalen Technologien gerade die, die eine Brückenfunktion zwischen digitaler und physischer Welt herstellen. Gemeint sind Drucker, Scanner und Faxgeräte.
  10. Die Daten und Erkenntnisse der Studie legen Maßnahmen nahe, um Fehlbeanspruchungen durch digitalen Stress zu vermeiden.

Wie kann man digitalem Stress nun entgegenwirken?

Wie oben schon angemerkt wurde, ist es insbesondere sinnvoll, Präventionsmaßnahmen dort anzusetzen wo ein Ungleichgewicht zwischen den individuellen Kompetenzen und den Anforderungen durch Digitalisierung besteht.

Folgende Maßnahmen bieten sich in diesem Zusammenhang an (ich habe hier etwas ergänzt):

  • Eine Analyse des Ungleichgewichts, sprich die Ermittlung wo bzw. bei wem Handlungsbedarf besteht.
  • Die Überprüfung von Arbeitsprozessen. Häufig wird dies vernachlässigt, wenn neue Technologien implementiert werden. Hier kann es erforderlich sein, dass Prozesse und Abläufe angepasst werden.
  • Die Vermittlung und der Erwerb von Kompetenzen im Umgang mit digitalen Technologien, sprich Qualifizierungsmaßnahmen. Dabei ist auch auf eine zielgruppengerechte Vermittlung zu achten.
  • Die Bereitstellung von Support, der sowohl in quantitativer wie auch qualitativer Weise angemessen sein sollte. Zudem könnte auch hier eine Kompetenzvermittlung stattfinden, im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe.
  • Der Einsatz verlässlicher Technologien und ein gesicherter KVP-Prozess bei der Implementierung von neuen Technologien.
  • Eine unternehmensinterne Strategie im Umgang mit E-Mails. Ich halte es beispielsweise für sinnvoll, intern auf andere Kommunikationstechnologien zurückzugreifen als E-Mails. Zudem ist eine Urlaubs- und Vertretungsregelung hilfreich.
  • Die Entwicklung von Bewältigungsstrategien zum Umgang mit (digitalem) Stress.
  • Ein individuell optimierter Einsatz digitaler Technologien.
  • Ein maßvoller Umgang und die Nutzung von digitalen Freiräumen (insbesondere auch in der Freizeit).

Aus meiner Sicht hat die Studie in erster Linie eine gesicherte Datenbasis geliefert für Vermutungen, die durch bestehende Stressstudien in Bezug auf digitalen Stress zu erwarten waren. Insofern sollten diese Erkenntnisse -wie oben dargestellt- in sowohl verhaltenspräventive wie verhältnispräventive Maßnahmen im Rahmen der psychosozialen Gesundheit integriert werden und stellen kein eigenes Handlungsfeld dar.

Falls Sie die gesamte Studie lesen möchten, findet Sie sie hier.


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